,WHATSAPP-Schlagabtausch und GEHEIMNIS im Gesellschaftsmüll‘: Karloff & Traussnig im Literaturgespräch
Im Rahmen der KULTUM-Populärkulturreihe ,Seismographics‘ stellten am 28. November Drin Kathrin Karloff (Bildungsforum Mariatrost) und Mag. Dr. Florian Traussnig (KULTUM) im kleinen Minoritensaal in Graz erneut zwei aktuelle, stilistisch sehr unterschiedliche Gegenwartsromane mit überraschend vielen inhaltlichen Bezügen einander gegenüber: ,Zwischen Welten‘ von Juli Zeh und Simon Urban sowie ,Glückliches Geheimnis‘ von Arno Geiger (beide 2023) – Seismographen für die Erschütterungen in unserer Gesellschaft und den Umgang mit ihnen: Während sich ,Zwischen Welten‘, ein hochaktueller „Brief“-Roman um die zerstörerische Kraft eines enthemmten Whatsapp-Diskurses zweier Menschen, die sich nach zwanzig Jahren zufällig wiederbegegnen, dreht, erzählt Arno Geiger in seinem jüngsten Werk sprachlich klar, analytisch und nachdenklich über sein literarisches Werden und sein Arbeitsverständnis als Autor, der morgens kopfüber und verschwitzt im Altpapier wühlt und abends mit Präsidenten diniert.
Im vergleichenden Literaturgespräch wurde viel zutage gefördert über das Auseinanderdriften entgegengesetzter gesellschaftlicher Pole und Haltungen, den Niedergang der Debattenkultur, die Bedeutung von Empathie und Liebenswürdigkeit, Freiheit versus Selbstbestimmung, die Grenzen des gemeinsamen Austauschs sowie die Frage, ob und wie ein „Alles auf Anfang!“ möglich werden kann – bis es am Ende des Literaturgesprächs, mit den Worten Arno Geigers, hieß: „Ich bin jetzt am Grund. Es ist alles geborgen. Rasch weiter!“
Rückblick: Vortrag und Gespräch mit Franz Küberl: 'Zukunft muss nach Besserem schmecken' am 26.9.2023 in Deutschfeistritz!
Ausgehend vom "Leuchten von Vorbildern", die ihn durch die Art und Weise, wie sie anderen Menschen hilfreich zur Seite standen, prägten, und zugleich der Entdeckung, "auf die Butterseite des Lebens gefallen zu sein", erläuterte der ehemalige Caritas-Präsident, warum es so wesentlich ist, "die Zukunft in der Kirche am Marktplatz des Lebens zu schmecken"!
Es brauche, so Küberl, eine bunte Vielfalt an Engagierten und eine ausgewogene Balance zwischen der Beschäftigung mit innerkirchlichen Fragen und der Begegnung mit den Menschen. Zukunft – im Sinne von Fortschrittsdenken, Risikovorsorge und Geschichtsbewältigung, verbunden mit dem notwendigen Humor – werde "dann schmecken, wenn Zukunftsmöglichkeiten im persönlichen Aktionsradius gestaltet werden."
40 Teilnehmer:innen nahmen begeistert an dieser Kooperationsveranstaltung im Rahmen des Schwerpunktes 'Arbeitnehmer:innensorge' im Seelsorgeraum GU-Nord und in Kooperation mit dem Bildungsforum Mariatrost, dem Katholischen Bildungswerk sowie dem 'Fonds für Arbeit und Bildung der Diözese Graz-Seckau' teil und kamen mit Franz Küberl nach seinem Vortrag noch lange ins Gespräch.
Rückblick: „Süchtig nach Sinn. Über Zeitenwende und Gefährdungen“ – Vortrag und Gespräch mit Peter Strasser
Die Veranstaltung ist gefördert aus Mitteln der Österreichischen Gesellschaft für politische Bildung (ÖGPB).
Bei seinem, trotz hochsommerlicher Temperaturen, gut besuchten Vortragsabend am 22.6. konstatierte Prof. Dr. Peter Strasser die verstärkte Individualisierung von Lebensentwürfen und, damit in Zusammenhang stehend, die um sich greifende zwanghafte Suche nach dem Sinn des Lebens bzw. die permanente „Selbstneuerfindung des Sinns“. Der „Spiritualitätsmarkt“ wisse geschickt darauf zu reagieren, mit der ganz und gar nicht harmlosen Konsequenz der Ablehnung des rationalen Denkens sowie weltweit erstarkender Kollektivismen, teilweise durchtränkt von faschistoidem Gedankengut.
Strasser bedauert angesichts komplexer, u.a. wirtschaftlicher und ökologischer, globaler Entwicklungen eine gewisse Hilflosigkeit der Möglichkeiten einflussreicher politischer Partizipation und warnt vor zivilem Ungehorsam als „Happening“. Ideal und damit wesentlicher Beitrag zur Gestaltung der Welt als lebenswerten Ort stellt für ihn „Caritas“ bzw. tätige Nächstenliebe dar, eine effektive, überall umsetzbare Form des Engagements – eine Forderung, die den intensiven Austausch der Teilnehmenden über ihre Umsetzungsmöglichkeiten zur Folge hatte.
Buchpräsentation und Talk mit Erwin Javor und Harry Bergmann am 3.5.2023, Kooperationsveranstaltung des Bildungsforums Mariatrost, des Steiermarkhofs und des Katholischen Bildungswerks!
Die renommierten Wiener Unternehmer Erwin Javor (u.a. Herausgeber von ,mena-watch‘, dem unabhängigen Nahost-Think-Tank, sowie von ,NU - Jüdisches Magazin für Politik und Kultur‘) und Harry Bergmann (mehr als 40 Jahre lang geschäftsführender Gesellschafter von Österreichs größter Werbeagentur DMB) präsentierten vor 65 Gästen ihr kurz vor dem 75jährigen Jahrestag der Staatsgründung Israels erschienenes Buch ,Israel – was geht mich das an?‘, eine Anthologie von 14 Kurzgeschichten bzw. Essays, geschrieben von national und international renommierten Autorinnen und Autoren wie Danielle Spera, Wolf Biermann, Robert Schindel, Ben Segenreich oder Mirna Funk!
Im intensiven Gespräch, u.a. mit Ehrengästen wie dem Landeshauptmann a.D. Hermann Schützenhöfer, beleuchteten sie das noch Unbekannte hinter der obsessiven Medienflut um einen Staat, zu dem sich jeder ein Urteil erlaubt und der mit seinen Bewohnern aus über 120 Nationen, „wie ein globales Kaleidoskop auf engstem Raum wirkt." So öffnete Harry Bergmann mit seiner berührenden autobiographischen Erzählung ,Die Karriere eines Taxifahrers' den nötigen Raum für das, was von den Kameras zumeist ausgespart wird, jedoch Teil des gelebten, bunten israelischen Lebens ist. Ein gehaltvoller, perspektivenreicher Abend, der musikalisch wunderbar umrahmt wurde von Klezmer-Musik auf Top-Niveau!
Mehr als 20 hochinteressierte Bildungsaffine machten sich am 14.3. auf einen Stadtspaziergang der besonderen Art auf: Vom Mariahilferplatz „im Gries“ startend, ging die Gruppe bis zum Freiheitsplatz, am „anderen“, politisch bedeutsamen „rechten“ Murufer gelegen, und bewegte sich auf den Spuren von Grazer Frauen, die das städtische Leben in der Landeshauptstadt – und über deren Grenzen hinaus – immer schon bereichert haben. Erwachsenenbildnerin und Diversitätsfachfrau Mag.a Edith Zitz, die ein ausgeprägtes Interesse für den öffentlichen Raum hegt und der „selbstbestimmt leben“ ein besonders wichtiges Anliegen ist, machte aktiv gelebte, jedoch häufig verborgene Formen politischer Teilhabe von in Graz lebenden Frauen sichtbar.
Auf ihrem urbanen, aus Mitteln der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung geförderten Streifzug widmeten sich die Spaziergänger:innen, an der Caritas-Einrichtung tag.werk stehenbleibend, Fragen rund um Arbeitsmarktintegration und Beschäftigungsausmaß von in Graz lebenden Frauen. Die besonderen Lebensbedingungen und das mitgebrachte Know-know von Frauen (und Männern) mit Migrationshintergrund kamen dabei nicht zu kurz. Nach einem spezifischen Blick auf die am ,Kunstbaus‘ angebrachte, unabhängige Wandzeitung ausreißer, die als (künstlerisches) Sprachrohr u.a. für frauenspezifische Themen dient, machte Edith Zitz bei den „Liebesschlössern“ auf der Erzherzog-Johann-Brücke auf die von Frauen erkämpften Beziehungsformen und deren rechtliche Gleichstellung aufmerksam.
An der Franziskanerkirche öffnete Zitz den Teilnehmer:innen, im wahrsten Sinne des Wortes, die Augen für das taktile Bodenleitsystem in Graz, das blinden und sehbehinderten Frauen und Männern ermöglichet, sich selbstständig im öffentlichen Raum zu bewegen. Inwieweit eine barrierefreie und gendergerechte Stadtentwicklung von Frauen immer wieder gefordert wird und positive Auswirkungen für das Leben aller Grazer:innen hat, erläuterte die Referentin auch in Bezug zum notwendigen Ausbau von Grünflächen, Sitzgelegenheiten oder auch von Still- und Wickelräumen. Im Grazer Rathaus ging es schließlich um Daten und Fakten rund um das politische Engagement von Grazer Politiker:innen und steirischen Bürgermeisterinnen. Vor dem Hintergrund der Frauengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts wurde auch auf die Grazer Pionierinnengalerie aufmerksam gemacht, die Frauen vor den Vorhang holt, die zur schrittweisen Etablierung von Frauen in zuvor von Männern dominierten Bereichen beigetragen haben.
Rund um den Grazer Dom beschäftigten sich die Teilnehmer:innen mit dem Wirken der Dominikanerinnen (heute befindet sich das ,Akademische Gymnasium‘ im ehemaligen Kloster) sowie mit den, hauptsächlich von Frauen geprägten, Erwachsenenbildungseinrichtungen des Bildungsforums Mariatrost und des Katholischen Bildungswerks, in der Bürgergasse 2 gelegen.
Den Abschluss bildeten am Franziskanerplatz spezifische Hinweise zur notwendigen Weiterentwicklung politischer Teilhabe von Frauen wie auch, über die Stadt Graz hinausgehend, zum tatkräftigen Engagement für geflüchtete Frauen, Männern und Kinder, beispielsweise durch die Initiative ,We4Moria‘.
KLIMA-SCHATTEN ÜBER DEM KRISEN-"WETTER"
Literaturgespräch Karloff/Traussnig
"Am Ende wird alles schwarz sein und leer, und die Sterne schwarze Klumpen im Meer.“ (Tanja Raich im Roman ‚Schwerer als das Licht‘)
",Manche Sachen liegen einfach in der Luft und fliegen herum‘, sagt sie, und ich denke an Blätter, etwas, was fällt und sich unbemerkt ansammelt.“ (Jenny Offill im Roman ,Wetter‘)
Kathrin Karloff, Leiterin des Bildungsforums Mariatrost & Amerikanistin, sowie KULTUM-Diskurskurator Florian Traussnig lasen am 17.01.2023 im dritten Teil der sich an den Gegenwartskrisen abarbeitenden KULTUM-Populärkulturreihe SEISMOGRAPHICS aus zwei sehr verschiedenen Büchern und erörterten Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Inhalt und Sprache.
Schilderte der von Karloff ausgesuchte Roman Tanja Raichs ,Schwerer als das Licht‘ (2022) die „brachiale Verzweiflung einer namenlosen Frau, die wie eine Schiffbrüchige vom Meer auf eine einsame Insel ausgespuckt wird“ (Der Standard) und sich in einer ebenso schönen wie düsteren und absterbenden Naturkulisse wiederfindet, so zeigte das von Traussnig gewählte Buch, der „emotionale, planetarische und sehr emotionale“ – sowie humorvolle – Roman (The New York Times) ,Weather‘ von Jenny Offill (2020), wie eine New Yorker Bibliothekarin ihren Alltag vor dem Hintergrund des drohenden Weltendes und der zunehmenden „climate anxiety“ bestreitet:
Zwei Romane, die ökologische Sensibilität in sich tragen und sich unserem tagespolitischen Krisencrescendo dennoch weitgehend entziehen. Nicht dem lauten Nachdenken über die Atmosphäre unserer Zeit entzogen hat sich das Publikum, das sich engagiert ins offene Zwiegespräch des Duos einbrachte.
Fazit des Abends: Poetisches Nachdenken über die mögliche Apokalypse, die Kraft menschlichen Überlebenswillens, die Bedeutung des Schreibens und lakonische Selbstironie zahlen sich aller Klimaangst zum Trotz aus! Wir freuen uns auf weitere Kamin-Literaturgespräche zwischen Karloff/Traussnigg.
Eine Veranstaltung der KULTUM-Reihe SEISMOGRAPHICS in Kooperation mit dem Bildungsforum Mariatrost
Krisen und Auswege – Buchpräsentation von Andreas Gjecaj, Vortrag von Josef Riegler und Gespräch mit Karl Steininger
Andreas Gjecaj, ehrenamtlicher Präsident der Katholischen Aktion, präsentierte am 16. Oktober, im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung des Bildungsforums Mariatrost und der Katholischen Aktion Steiermark (gefördert aus Mitteln der ÖGPB), die von ihm persönlich, Josef Riegler, Manfred Prisching u.a. heuer herausgegebene umfassende Essaysammlung ‚Krisen und Auswege‘, die auf der spürbaren Zuversicht basiert, dass es Mittel und Wege gibt, auf die aktuelle Polykrise zu reagieren. „Die Zeit drängt und wir brauchen so rasch wie möglich akzeptable Lösungen, die für alle Menschen Verbesserungen bringen“, betonte Gjecaj als Motivation der Autoren, verschiedenste miteinander verzahnte Auswege zu bündeln mit dem Ziel, „eine Bewegung der Verbundenheit“ zu erreichen. Ausgehend von einem „Soziallehre-Fahrplan“ sei es wesentlich, durch Dialog- und Kompromissfähigkeit sowie Respekt dem/der Anderen gegenüber einen konstruktiven Beitrag zum Gesprächsklima unserer Zeit zu leisten. Darüber hinaus müssten sich Wege aus der Krise deutlich entfernen von unserer bisherigen Art zu leben und zu wirtschaften.
Josef Riegler, ehem. Vizekanzler und aktuell österreichischer Koordinator der ,Global Marshall Plan Initiative‘, präsentierte im Folgenden sein bereits 1986 entwickeltes ,Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft‘ als zielführenden Weg, eine humane und lebensraumschonende Zivilisation zu schaffen. Als notwendiges „Kunststück politischer Balance“ ziele Ökosoziale Marktwirtschaft auf soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit ab und sei dementsprechend „eine Überlebensstrategie“. Jedoch sei, so Riegler, nur durch einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel eine gedeihliche Zukunft gestaltbar.
Im anschließenden gehaltvollen Podiumsgespräch mit Kathrin Karloff, Leiterin des Bildungsforums Mariatrost, und den zahlreichen hochinteressierten Gästen erläuterten die beiden Referenten gemeinsam mit Wirtschaftswissenschaftler Karl Steininger, Direktor des Wegener Centers an der Universität Graz, welche globalen Mechanismen es jetzt konkret braucht, um diesen Bewusstseinswandel zu erreichen. Nicht zuletzt sei – und darin waren sich alle drei Referenten einig – der solidarische Einsatz jedes/r Einzelnen, die „private Mission im humanistischen Sinne“, wesentlich.